Grüne Schiene Lautertal

Ortsgruppe Kaiserslautern

Grüne Schiene Lautertal

Eine Stadt ohne Selbstwertgefühl

Kommen Besuchende mit dem Auto oder einem umweltverträglichen Verkehrsmittel in die Stadt, vergessen sie ganz schnell wieder, dass Kaiserslautern im Herzen des größten zusammenhängenden Waldgebiets in Deutschland liegt, dem Naturpark Pfälzer Wald. Denn die Grünflächen der Pfalzmetropole sind alles andere als zusammenhängend. Gewerbeflächen und KFZ-Abstellplätze prägen die Ortseingänge. Und die namensgebende Lauter wurde in unterirdische Rohre gesperrt.

Die Jugendlichen wissen es genau. In Kaiserslautern gibt es nur drei Dinge: „De Betze, es Zagges un uff die Fress.“ Selbstwert sieht anders aus.

Dem setzt das 1996 von der TUK herausgegebene Konzept „Grüne Schiene Lautertal“ etwas entgegen. Prof. Dipl.-Ing. H. Stephan Wüst und seine Kolleg*innen und Studierenden haben in Zusammenarbeit mit Stadt und Landkreis Kaiserslautern jahrelang daran getüftelt: Ein grünes Freizeit- und Erholungsband quer durch Kaiserslautern, eine Offenlegung der Lauter, neue Verkehrskonzepte und Flächenumwidmungen sollen die Stadt attraktiver machen und ihren Spirit wiederbeleben.

Auch der Parkplatz Meuthstraße sollte umfunktioniert werden.

Luftbild der Grünen Schiene Lautertal

Damals und heute

Seitdem hat sich einiges getan, doch die meisten Probleme existieren auch heute – 25 Jahre später – noch. Während die Gartenschau seit 2000 Menschen von weit her anzieht, will kaum ein Mensch bleiben. Durch die Kessellage heizt sich die Innenstadt im Sommer extrem auf, die Verkehrsinfrastruktur einschließlich des ÖPNV lässt viel zu wünschen übrig und es fehlt an Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten.

Das oberste Ziel der Grünen Schiene war es, eine umwelt- und sozialverträgliche Stadt- und Landschaftsentwicklung in die Wege zu leiten. Dafür gab es folgende Teilziele:

  • Umnutzung Holtzendorff-Kaserne und 23er-Kaserne
  • Umnutzung Fröhnerhof
  • Sanierung Kammgarn-/Schlachthofgelände
  • City-Bahn-Projekt
  • Attraktivierung des Kulturangebotes durch Theaterneubau, Kulturzentrum Kammgarn und die Einrichtung eines Pfälzischen Kunstwanderweges
  • Entwicklung eines Pfälzischen Kunstwanderweges
  • Entwicklung eines Radwandernetzes
  • Ökologisch orientierte Gewerbeplanungen
  • Beschäftigungs- und Qualifizierungsinitiativen für ehemalige Beschäftigte der US-Streitkräfte
  • Umweltverträgliches Entsorgungs- und Recyclingkonzept für den Raum Kaiserslautern
  • ‚Sanfte‘ Fremdenverkehrspolitik im Biosphärenreservat ‚Naturpark Pfälzer Wald‘

erledigt | nicht erledigt | unklar

Grünsysteme können vielfältige stadtgliedernde, stadtgestalterische, stadthygienische und infrastrukturelle Funktionen sowie konkrete Nutzungsfunktionen im Freizeit- und Erholungssektor wahrnehmen.

Die grüne Schiene

Hinter dem Slogan Grüne Schiene Lautertal verbirgt sich die ganzheitliche planerische Idee, die grüne Schiene der Lauter mit ihren diversen Funktionen der Landschafts- und Stadtgestaltung, Freizeit und Erholung, sowie Stadthygiene bis zum Herz der Stadt zu verlängern.

Die Grüne Mitte im Rathausareal, die in naher Zukunft weiter ausgebaut werden soll, könnte über die Burgstraße mit der Gartenschau und damit dem Oberen Lautertal über ein Grünes Band verbunden werden. Durch die Staffelung der Grünen Schiene in mehrere Themenparks entsteht eine Kette von Erlebnisstationen, die die Stadt mit der Landschaft verbindet.

Das Konzept bietet Chancen und Potentiale, eine wirtsschaftsschwache Region aufzuwerten und zu stabilisieren. Wesentliche damit verbundene Teilziele sind die Schaffung eines positiven Investitionsklimas und Stadtimages sowie auch die Stärkung bzw. Wiederherstellung des regionalen Selbstwertgefühls. Dazu wird eine vorausschauende Bebauungsplanung vorausgesetzt, die im Falle des Parkplatzes Meuthstraße nicht gegeben ist. Diesem Plan fehlt eine konkrete städtebauliche Vision.

Wir haben hier die wichtigsten Informationen für euch zusammengefasst. Das vollständige PDF von 1996 gibt es in unserer Infosammlung.

Ein Grünsystem, das die grünen Inseln Kaiserslauterns miteinander verbindet, existiert zurzeit noch nicht.

Die Verinselung des Stadtgrüns

In Kaiserslautern steht uns zur Erholung und Freizeitgestaltung der Stadtpark, die Grüne Mitte und der Volkspark zur Verfügung. Genug grün in der Stadt, könnten wir meinen. Der Volkspark ist allerdings aufgrund seiner sehr weit östlichen Lage nicht sehr zugänglich. Der Stadtpark als ein solcher viel zu klein – es handelt sich hierbei um einen Quartierspark, der aufgrund seiner Überfüllung oft sogar das Stresslevel erhöht. Von der Grünen Mitte als stadtökologische Erholungs- und Freizeitfläche brauchen wir nicht anzufangen.

Abhilfe könnte ein Grünsystem schaffen. Die genannten „Grüninseln“ werden durch ein solches System miteinander verbunden. Bislang werden solche Verbindungen in Lautern jedoch durch Bebauungsriegel und Infrastruktur blockiert. Und das Bauvorhaben, das für den Parkplatz Meuthstraße angestrebt ist, wird diese Situation weiter verschlechtern.

Während unser Oberbürgermeister die Strategie fährt, möglichst jeden Investorenwunsch zu erfüllen, um die Stadt zum Wachsen zu bringen, gibt es seit 25 Jahren eine viel sozial- und klimaverträglichere Lösung: Grünsysteme haben nämlich uneingeschränkt positive Auswirkungen auf die Stadtentwicklung.

Einrichtungen der sozialen Versorgung, Bildung, Kultur und Gastronomie haben einen erhöhten Bedarf an Aufenthaltsräumen im Freien und profitieren von nahegelegenen Grünflächen. Und schon 1996 war dem damaligen Oberbürgermeister Deubig bewusst: Für die Ansiedelung lukrativer Unternehmen sind Naherholungsqualitäten in Arbeitsplatznähe essentiell. Wir vermuten, dass auch die Einkaufszone durch einen Park in unmittelbarer Nähe wiederbelebt werden könnte.

Der Stiftsplatz im Jahre 1996

Die Flächenentsiegelung

Um den Mangel an innerstädtischen Grün- und Freiraumsystem aufzuheben, hat sich seit 1996 schon einiges getan. In der Gartenschau können wir uns nicht nur hübsche Gärten anschauen, sondern sehen auch, dass inklusives Arbeiten mit 45% beeinträchtigten Kolleg*innen funktionieren kann. Das Pfalztheater und die Kammgarn bieten ein breitgefächertes Kulturangebot. Und die Autos, die vorher auf dem Stiftsplatz standen, parken nun darunter.

Auch wenn das sicherlich eine Verbesserung des damaligen Ist-Zustandes ist, wurden Potentiale versäumt. Für die Freifläche vor dem Pfalztheater wurde damals eine Integration des Lauterwassers vorgeschlagen – heute erinnert uns ein modernes Kunstwerk daran, wie sehr wir Kaiserslautern manchmal uff die Fress geben wollen.

Und der Stiftsplatz bietet immernoch keinerlei Aufenthaltsqualitäten. Außer an Markttagen lädt er nicht zur Nutzung ein, ist immer noch vollversiegelt und heizt sich durch den Mangel an schattenspendenden Bäumen weiterhin enorm auf.

Der durch gewerbliche Fehlnutzungen geprägte Ost-Eingang der Stadt bietet Chancen für einen besseren ersten Eindruck.

Die Eingangstore nach Kaiserslautern

Die Umnutzung und Attraktivierung der Stadteingangszonen ist eine wichtige Aufgabe der Stadtplanung. Aus dem Oberen Lautertal im Westen kommend, verunstalten allerdings Gewerbe- und Brachflächen diesen wichtigen ersten Eindruck von unserer Stadt.

Für die Auslagerung der Gewerbe benötigen wir vermutlich eine weitere Abrüstung und damit ein Freiwerden der vom U.S.-Militär genutzten Flächen. Bei Parkplätzen sieht das ganz anders aus. Der Parkplatz Meuthstraße ist zum Beispiel schätzungsweise eineinhalb mal so groß wie der Stiftsplatz.

Nun wäre ein Parkhaus hier natürlich um einiges besser als eine Vollversiegelung, zumal damit noch weitere Parkplätze entsiegelt werden könnten. Doch gleichzeitig sind sämtliche Parkhäuser in der Innenstadt so gut wie nie auch nur annähernd ausgelastet.

Grünräume sind um einiges billiger als die Errichtung von Gebäuden. Sie entfalten außerdem eine Summe von Wohlfahrtswirkungen und werden somit zur planerischen Notwendigkeit, die auch vom Gesetzgeber eingefordert wird. Schon der erste Paragraph des Baugesetzbuches zählt „die Erhaltung einer menschenwürdigen Umwelt“ sowie den „Schutz und die Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen“ zu seinen fünf wichtigsten Zielen. Industrie- und Gewerbeflächen können diese Aufgaben nicht erfüllen.

Die Identitäts- und namensgebende Lauter entspringt etwa einen Kilometer östlich der Stadt an der „Lauterspring“ und verschwindet dann in unterirdischen Rohren.

Die Blaue Schiene

Wasser ist als stadtbildprägendes Element in Kaiserslautern nicht wahrnehmbar, obwohl die Lauter sogar namensgebend für unsere Stadt ist. Der Genius Loci (lat. „Geist des Ortes“) ist verblasst, unter die Erde verbannt. Sie fließt nun in Rohren auch unter der Burgstraße entlang, vorbei am Parkplatz Meuthstraße.

Der Plan der Blauen Schiene ist es, die Lauter bis zu den Stadteingängen als naturnahes Gewässer, im Innenstadtbereich als kanalisierten Wasserlauf offenzulegen. Als stadtbildprägendes Element vermittelt sie Orientierung und kann auf Stiftsplatz, Schillerplatz und Theaterplatz zur Platzgestaltung eingesetzt werden.

Wir finden, dass ein Fluss ohne umgebende Grünflächen kein richtiger Fluss ist. Nur dann kann die Lauter wichtige bioökologische Funktionen wahrnehmen: Neue und selten gewordene Pflanzengesellschaften und Feuchtbiotope bilden sich aus, diverse Vogelarten, Insekten und Amphibien finden eine neue Heimat, der Prozess ‚Natur‘ wird eingeschaltet und erlebbar.

Daher muss das Potential des Parkplatzes Meuthstraße gesichert werden.

Aus Richtung des Kaiserbergs strömt kühle Luft zum Stadtkern.

Die Notwendigkeit von Frischluftschneisen

Die Kaiserslauterer Innenstadt ist durch ihre Kessellage und dichte Bebauung bei Inversionswetterlagen in besonderem Maße smoggefährdet. Auch bei normalen Wetterbedingungen sind in der Innenstadt stark erhöhte Schadstoffkonzentrationen, geringere Windgeschwindigkeiten, deutlich höhere Temperaturen und eine geringere Luftfeuchtigkeit festzustellen als im Umland.

Grüne Bänder können als Ventilationsbahnen für kühle, saubere Luft in den Stadtkern gelangt, vor allem, wenn sie in Windrichtung liegen. Eine essentielle Frischluftschneise verläuft aus Richtung des Kaiserbergs und dann entlang der unterirdischen Lauter in die Kernstadt.

Beton und Asphalt speichern sehr viel Hitze und geben diese an die Umgebung ab. Dadurch tritt ein Kamineffekt ein: Kalte Luft fließt aufgrund der höheren Dichte am Boden entlang, heizt sich auf und steigt irgendwann nach oben.

Grünflächen, Bäume und Gewässer entlang einer Frischluftschneise stellen sicher, dass die Luft möglichst lange kühl bleibt, damit sie den Stadtkern erreicht, bevor sie – durch versiegelte Flächen erhitzt – über die Dächer der Stadt aufsteigt.

Durch die frühzeitige Ausweisung des Parkplatzes Meuthstraße als Bestandteil eines Grünsystems kann dessen klimapositive Wirkung für die Zukunft gesichert werden.

Während unserer Mahnwache lief eine Entenfamilie, begleitet von einem Ehrenamtlichen, quer über den Parkplatz, um zum Japanischen Garten zu gelangen. Auf unsere Frage, ob sie die Offenlegung der Lauter auch nice fänden, hörten wir keine Antwort. Doch wir sind uns sicher, dass das an der lauten Lauterstraße über der leisen Lauter lag.

Abschließende Worte

„Umweltfreundliches Flächenmanagement, das sowohl den Schutz als auch den sparsamen und schonenden Umgang mit den knapp gewordenen natürlichen Ressourcen zum Ziel hat, ist gesetzliche Verpflichtung und muss im Rahmen der Flächennutzungsplanung einer Stadt gewährleistet werden“, heißt es auf Seite 19 der Konzept-Broschüre zur Grünen Schiene Lautertal. Das Konzept war damit seiner Zeit weit voraus.

Durch die Entsiegelung großer Flächen sinkt bei stärkeren Regenfällen die Überschwemmungsgefahr in gefährdeten Arealen wie dem der Burgstraße. Die Offenlegung der Lauter bringt unbestreitbare Vorteile. Ein Grünsystem wünschen sich in den Kommentaren unter unserer Petition viele Lauter*innen.

Doch das Konzept der Grünen Schiene bietet noch weitaus mehr: Citybahngleise könnten den West-, Nord- und Hauptbahnhof mit dem ÖPNV-Knotenpunkt Stadtmitte verbinden und den Straßenverkehr erleichtern. Entlang dieses Grünsystems könnten Themenparks entstehen: Landschaft, Natur, Architektur, Kunst, Wasser, Theater, Meditation, Aktion. Diese wären durch Themenwege verbunden.

Die Grüne Schiene Lautertal ist weder unrealistisch noch unbezahlbar, weil sie die lebensnotwendigsten Grunddaseinsfunktionen des Menschen anspricht und verbessert: Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Verkehr und Gesundheit. Sie reaktiviert den Genius Loci und bringt damit einen Teil verschütteter Stadtgeschichte und Identität wieder zum Vorschein.

Eine lebens- und liebenswerte Stadt soll entstehen – und eine Landschaft die ihr die Hand reicht, mit ihr kommuniziert.